Die Provinz Lüttich erinnert sich an

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Kriegserlebnisse

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partager sur Twitter partager sur Facebook   Publié le 22-11-2019

Neue Vergeltungswaffen, die V1 und V2, Die großen Angriffsziele: Antwerpen und Lüttich

Neue Vergeltungswaffen, die V1 und V2

Anfangs noch als „Versuchsmuster“ bezeichnet, werden die V1 und V2 zu „Vergeltungswaffen“. Sie sind Teil der neuen, in den militärischen Arsenalen des Dritten Reiches entwickelten Waffen. Die V1 ist ein kleines unbemanntes Flugzeug; es wird nur ein einziges Mal genutzt, da es mit seiner Ladung (einer Tonne Sprengstoff) explodiert. Der Antriebsmechanismus (Pulsstrahltriebwerk) ermöglicht es, sowohl die Dauer des Fluges als auch das Abschalten des Triebwerks zu steuern, zwei nützliche Elemente für das Ziel und den Sturzmoment. Die Reichweite beträgt 250 bis 420 Kilometer, der Kraftstoffverbrauch 24 Liter pro Minute und das Tankvolumen 607 Liter. Die V1 wird von Rampen an Bodenstützpunkten aus abgeschossen. Sie kann aber auch von einem Flugzeug, der Heinkel 111, gestartet werden. Allerdings wird dieses Verfahren selten eingesetzt. Die Herstellung der V1 erfolgt in 18 verschiedenen Fabriken; die Produktionsrate ist auf 3.000 Stück im Monat festgelegt.

Die V2 ist eine Überschall-Boden-Boden-Rakete und die erste einsatzfähige Version einer ballistischen Rakete für militärische Zwecke. Sie umfasst im Wesentlichen eine Schubdüse, die von zwei Tanks gespeist wird. Ein Tank enthält den Brennstoff, der andere flüssigen Sauerstoff. Die Stabilität der Flugbahn wird durch ein automatisches Steuerungssystem gewährleistet.

Die Reichweite beträgt 320 Kilometer und die Geschwindigkeit 5.000 km/h in einer Höhe von 50 km.

Die großen Angriffsziele: Antwerpen und Lüttich

Der V2-Angriff beginnt am 8. September, ausgehend vom niederländischen Den Haag. An diesem Tag stürzt die erste V2 über London ab. Diese neue Art des Angriffs wird bis zum 27. März 1945 andauern. Ungeachtet der weitverbreiteten Ansicht, die Vergeltungswaffen hätten nur Großbritannien getroffen, leidet vor allem Belgien unter dem Beschuss der V1 und später der V2, manchmal auch unter beiden zur gleichen Zeit. Als London durch den Vormarsch der alliierten Truppen außer Reichweite gerät, gibt Hitler den Befehl, den Angriff mit V2 fortzusetzen. So werden Antwerpen und Lüttich zu bedeutenden Angriffszielen.

London, das Herz Großbritanniens und gleichzeitig große Hafenstadt, bereitet sich auf die Nachfolgeoperationen vor, die die Alliierten in die Mitte Deutschlands bringen sollen. Antwerpen ist ein bedeutender europäischer Hafen und für die Fortsetzung der alliierten Militäroperationen jenseits des Rheins unerlässlich. Lüttich ist ein Hauptversorgungszentrum der US-Armee und gleichzeitig auch ein bedeutender Eisenbahn- und Straßenknotenpunkt.

Der 13. Oktober, ein Freitag, ist ein düsterer Tag für Antwerpen: Am Morgen fällt eine V2, die 32 Tote und 45 Verletzte fordert. Am Nachmittag kommen durch eine V1 14 weitere Menschen um. Am Tag vor diesem Doppelbombardement hatte der Kollaborateur und Verteidiger des Nationalsozialismus Léon Degrelle auf Radio-Berlin erklärt, er habe 20.000 fliegende Bomben angefordert, um Antwerpen zu einer Stadt ohne Hafen und einem Hafen ohne Stadt zu machen. Am 27. November fordern zwei aufeinander folgende V2 weitere 150 Opfer. Aber das Schlimmste kommt noch. Am 16. Dezember trifft eine V2 das Kino „Rex“. Der Saal wird verwüstet: Die Decke stürzt ein, ein Heizkessel explodiert. 567 Menschen verlieren ihr Leben.

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In der Lütticher Gegend

Am 26. September - die Bürger sind noch in der Euphorie der Befreiung - geht in Herstal die erste Bombe in der Region Lüttich nieder; man geht davon aus, dass sie von einem Flugzeug abgeworfen wurde. Zehn zerstörte Häuser, 17 Tote und unzählige Verletzte sind zu beklagen. Es wird jedoch angenommen, dass es sich um eine Art Testangriff handelt, wie in anderen betroffenen Gemeinden (Flémalle-Haute, Grâce-Berleur). Vielleicht war es nur Zufall, so wird gemunkelt ...

Allerdings fallen weiterhin V1 und V2 auf das Lütticher Umfeld: Im Oktober 144 V1, im November sogar 369, wobei der Monatsanfang am schlimmsten ist. Hinter Val Benoît fordert ein V2-Angriff am 7. Oktober 21 Todesopfer und Dutzende Schwerverletzte, von denen viele im Anschluss versterben.

20. November, kurz vor 22 Uhr: Die Stadt Lüttich ist verdunkelt, was zu dieser Zeit noch geboten war. Ein „Roboter“ überfliegt die Stadt mit dem ihm eigenen Geräusch, ähnlich dem eines Mopeds, nur deutlich lauter. Plötzlich erstirbt das Geräusch. Ein hoher Pfeifton setzt ein, gefolgt vom Getöse einer gewaltigen Explosion. Die V1 geht auf der Place du Marché nieder, Ecke Rue des Mineurs. Diese Explosion ist der Auftakt zu einer langanhaltenden Belagerung der Stadt Lüttich und ihres Umfelds aus der Luft.

Der Historiker Lambert Grailet erzählt: Alle, die diesen Winter erlebt haben, berichten von der Todesangst, die sie in ihren Kellern ausgestanden haben. Eine V1 im Anflug klingt wie das Klappern von Töpfen. Wenn das Motorengeräusch abbricht, ist kein Benzin mehr da. Der Absturz steht bevor. Zunächst also Stille - und dann eine schreckliche Explosion. Der Journalist Jean Jour fährt fort: Wir warteten geduldig auf das Ende des Alarms. Mit der Zeit wurde diese Geduld unser ständiger Begleiter (...) man achtete kaum mehr auf den klagenden Schrei, der das Ende des Alarms bedeutete; so manches Mal hatte man gar nicht registriert, dass es einen Alarm gab. Man erledigte einfach die täglichen Aufgaben, mehr nicht. Die Mütter gingen weiterhin in die Keller, insbesondere mit jüngeren Kindern. (....) Diese beiden fliegenden Bomben verursachten eine andere Angst als die, die während einer Bombardierung um sich griff. Manchmal überflog eine V1 die Stadt, ohne dass wir ihr Rasseln bemerkten. Wenn wir zufällig auf der Straße oder an einem Fenster standen und die V1 sahen, konnten wir nur den Moment abwarten, an dem der Motor zunächst stottern und dann jäh ersterben würde. Dann kam der Absturz auf die Stadt ... abseits von dem Ort, an dem wir uns aufhielten. Es würde in jedem Fall zerstörte Häuser und wahrscheinlich noch mehr Tote geben.

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Wieder in die Keller

Aufgrund der täglichen Bedrohung durch die „Vergeltungswaffen“ erwachen die Keller in den Häusern zu neuem Leben. Provisorische Trennwände werden eingebaut, Matratzen und Möbel werden nach unten gebracht. Hier wird gegessen und geschlafen - Momente, von denen man geglaubt hatte, dass sie vorbei sind. Im Vergleich zu den Zeiten vor der Befreiung werden die Keller anders eingerichtet, denn die „Roboter“ können überall und zu jeder Zeit einschlagen. Gleich nach Sonnenuntergang begibt man sich in seine zweite „Wohnung“ und lässt sich dort irgendwie nieder. Und geht seinen müßigen Beschäftigungen nach ...

Unter V1-Beschuss werden die Betten in den Keller gebracht. Die Keller werden so eingerichtet, dass möglichst viel aus den Gebäuden dort Platz findet. Betten werden aufeinander gestapelt, die Alten liegen unten, die Jüngeren oben. Es gibt einen Ofen mit Abzug durchs Kellerfenster, einen Herd zum Bereiten der Speisen und, natürlich, ein Radio. Wir verfolgen einerseits das Knattern der V1, ihre dumpfen Explosionen und lauschen andererseits gebannt den Radioberichten über den Fortgang der Operationen in den Ardennen. Der Alltag geht irgendwie weiter: Man muss zur Arbeit, die Cafés und Restaurants sind geöffnet, die Kinos auch. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich eine Stadt an den Krieg gewöhnen kann, daran, jederzeit den Tod zu erleben. Im Dezember 1944, am traurigsten Weihnachten aller Zeiten, ist Sterben einfach nur ungerecht! Die eigentliche Besatzung ist vorbei, aber die Deutschen besetzten nun den Himmel.

Ein weiterer Bericht beschreibt die Auswirkungen auf die Gebäude: Betongebäude halten den V1 recht gut stand. Ein oder zwei Stockwerke werden durch die Explosion zerstört, aber die Struktur bleibt erhalten. In den Arbeitervierteln hingegen finden Blutbäder statt. Eine einzige V1 zerstört zehn bis fünfzehn Häuser. Man kann die kaputten Fensterscheiben nicht mehr zählen. Der Winter 1944 ist hart, und es fehlt an Kohle.
Viele Leute suchen ihr Heil in der Flucht. Ein neuer Exodus vereint jene, die weg wollen und können. Mit den wenigen, sehr langsamen Zügen erreicht man die Hauptstadt; hier hat sich der Alltag wieder normalisiert. Der Kontrast zu Lüttich, wo sich die Bewohner in den Kellern verstecken, ist frappierend.

Zum Andenken an diese lange Prüfung, die die Lütticher erdulden müssen, bringen die alliierten Militärbehörden unten an der Rathausfassade eine Bronzetafel an. Darauf ist zu lesen: Zu Ehren der Bewohner Lüttichs, die wie tapfere Soldaten auf ihren Posten blieben, um die Alliierten zu unterstützen. Während der Belagerung ihrer Stadt aus der Luft, vom 20. November 1944 bis zum 18. Januar 1945, haben sie die Bemühungen der Alliierten nach besten Kräften unterstützt.

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Totaler Krieg und Bombardierung

In den kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts verursachen Luftangriffe neue, bis dahin unbekannte Verwüstungen: Im Ersten Weltkrieg, dem sog. Großen Krieg, bombardieren die Deutschen von 1915 bis 1918 pausenlos britische und französische Städte. Die Verbündeten der Entente verfahren ähnlich mit den deutschen Städten, nicht nur, um die dort angesiedelten Fabriken zu zerstören, sondern auch, um die Moral der

Bevölkerung zu brechen.
Auch wenn die Zerstörungen und Verluste im Vergleich zu den Massakern an den Fronten klein erscheinen - die psychologischen Auswirkungen sind tiefgreifend und nachhaltig. Dies ist einer der neuen Aspekte im Konzept des Totalen Kriegs. In der Zeit zwischen den Kriegen besteht die große Angst, dass neue Vernichtungswaffen (insbesondere Giftgas) auf dem Luftweg gegen Zivilisten eingesetzt werden könnten, da es keine internationale Gesetzgebung gibt. Mehr als 2.000 Bündnisse zur Bekämpfung von Luftangriffen und chemischen Bedrohungen aus der Luft entstehen in mehreren Ländern.

Leider kann dies die Massaker, die deutsche und italienische Luftangriffe im spanischen Bürgerkrieg anrichten, nicht verhindern. Die Städte Guernica, Madrid und Barcelona beklagen immense Verluste in der Zivilbevölkerung.
Während des Zweiten Weltkriegs verwüstet die deutsche Luftwaffe viele Städte, wie Rotterdam, London, Coventry oder Belgrad. Der Luftkrieg der Angelsachsen verdeutlicht am ehesten die Praxis der städtischen Bombardierung. Zahlreiche Städte des Reichsgebiets (Berlin, Hamburg, Dresden) und ein Teil des besetzten Europas werden systematisch zerstört. Und dann gab es noch Hiroshima und Nagasaki...

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<- Inhaltsverzeichnis

Kriegserlebnisse
In der Lütticher Gegend
Wieder in die Keller
Totaler Krieg und Bombardierung
Dresden, Februar 1945, zerstört durch die Royal Air
Start einer V2
Das durch eine V2 zerstörte Kino „Rex“ in Antwerpen
Plakat
Herstal, Rue Croix-Jurlet
Lüttich, Stadtteil Val-Benoît
Lüttich, Place du Marché
Lüttich, Cour des Mineurs
Lüttich, Kirche Saint-Antoine
Lüttich, September 1944, Zivilisten im Keller
Kellereinrichtung
Britisches Propaganda-Poster: Der Sturz der Diktatoren ist gewis
Caen, 6. Juni 1944, zu 75% zerstört durch alliierte Bombenangrif
Plakat